Schwebungen
Schwebungen sind Verstärkungen des Klanges,
die man in periodisch wiederkehrenden Intervallen vernimmt, wenn
man gleichzeitig zwei Klänge von nur nahezu einheitlicher
Schwin-gungszahl erregt. Das Ohr empfängt diese Schwebungen
regel-mäßig als abwechselndes Anschwellen und Abschwächen
der Tonstärke. Treten Schwebungen auf, so überlagern
sich zwei Schwingungen mit nur wenig voneinander abweichender
Fre-quenz. Die Differenz der beiden Schwingungsfrequenzen ergibt
die wahrzunehmende Schwebung. Je größer der Höhenunter-schied
der beiden schwebenden Töne ist, um so schneller werden die
Schwebungen vernommen. Sind es nicht wesentlich mehr als vier
in der Sekunde, so kann das menschliche Ohr sie verfolgen. Bei
weiten Abständen wird die Schwebung immer schriller, bis
sie sich schließlich in zwei getrennt wahrnehmbare Einzeltöne
auflöst. Beim Klavierstimmen ist ein völlig reiner Vergleich
unter den Chören eines Einzeltones bzw. zwischen Oktaven
am leichtesten. Hier wird so lange weitergestimmt, bis keine Schwebungen
mehr wahrgenommen werden. Wie im entsprechenden Abschnitt er-läutert
wird, besteht aber der Stimmzirkel nicht nur aus Abtei-lungen,
die untereinander vollkommen schwebungsfrei einzu-stimmen sind.
Nimmt man als Beispiel die Quinte, von der sicher schon be-kannt
ist, daß man sie »matt« halten solle, so ist
hier der Stimmer erstmalig beim Legen der »Temperatur«
genötigt, das Kriterium der Schwebungen heranzuziehen; allerdings
nicht so, daß sie wie
bei der Gleichchörigkeit (bzw.
reiner Oktave) verschwinden, sondern in bestimmter leicht hör-
und abwägbarer Form auf-treten. Es wurde bereits erwähnt,
daß Klaviere so gestimmt werden sollten, daß die Schwebungszahlen
innerhalb beliebiger Inter-valle nach oben hin zunehmen. Diese
»Spreizung« des Frequenz-bereiches erfolgt in der
Praxis aber kaum als eine absolut gleichmäßige Schwebungseinteilung,
weil man nie einen vollkommen regelmäßigen Inharmonizitätsverlauf
des gesamten Stahlsaiten-materials voraussetzen kann.
Das Tasteninstrument gehört zu den wenigen
Instrumenten, deren höherfrequente Obertöne Anharmonische
sind. Dies hat ihre Ursache in der Stimmung des Klaviers. Die
meisten Musikinstrumente sind nach der diatonischen Tonleiter
gestimmt. Die Intervalle dieser siebenstufigen Tonleiter, die
aus fünf Ganz- und zwei Halbtonschritten besteht, haben die
in "3.1.1. Schwingende Saiten" ermittelten Verhältnisse.
Das Klavier wird dagegen nach der temperierten Tonleiter gestimmt,
wobei man die Oktave in 12 gleiche Intervalle einteilt, um alle
Töne einer chromatischen Tonleiter zu erfassen. Dabei ist
das Verhältnis zwischen zwei Halbtönen immer gleich
2 EE1/12 =1,05946. Daher weisen diese Instrumente außer
den Oktaven keine reinen Intervalle auf, was das Zusammenspiel
mit anderen Instrumenten manchmal schwierig machen kann. Außerdem
weichen die Oberschwingungen in der Höhe auch mehr und mehr
von Harmonischen ab (Abb. 2). Doch diese anharmonischen Obertöne
des Klaviers bewirken erst den besonderen Klang.
Die Frequenzen der realen Partialtöne (durchgezogene
Kurve) steigen mit der Ordnungszahl stärker an als die der
exakten Harmonischen (gestrichelte Kurve).
Die Saiten des Klaviers haben natürlich keine grundlegend
andere Arbeitsweise, als dies schon im Kapitel über Saiteninstrumente
geschildert wurde. Dennoch gibt es einige interessante und wichtige
Aspekte, die die Eigenart des Klaviers ausmachen.
Die heutigen Klaviersaiten werden aus Stahldraht hergestellt.
Damit die Saite der Baßtöne sehr langsam schwingen
können, wird eine zusätzliche Masse benötigt. Deshalb
wird um den Stahldraht ein weicherer, meist aus Kupfer bestehender
Draht einfach oder gar zweifach umsponnen.
Wenn nun die Saite ausgelenkt wird, beginnt sie zu schwingen,
wobei diese Schwingung in der Realität aus mehreren Einzelschwingungen
besteht .Die idealisierte Saite besitzt keine Steifigkeit und ihre Obertöne
sind deshalb Harmonische. Die Steifigkeit von Klaviersaiten ist
jedoch relativ hoch, wodurch die Partialtöne von Harmonischen
abweichen. Doch genau dieses Phänomen, wie die temperierte
Stimmung, gibt dem Klavier die besondere "Wärme".